Digitalisierung in der Blechbearbeitung Umformtechnik digital

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Digitalisierung ist auch im Bereich der Umformtechnik längst selbstverständlich. Was bereits möglich ist, worauf es bei der Einführung digitaler Prozessketten ankommt und welche Vorteile das für den Anwender bringt, erläutern vier Anlagenhersteller.

Durch die Verbindung von Geräten und das Sammeln sowie Analysieren von Daten sind eine Produktionsoptimierung und ein transparenter Informationsfluss durch die gesamte Prozesskette der Metallumformung möglich.
Durch die Verbindung von Geräten und das Sammeln sowie Analysieren von Daten sind eine Produktionsoptimierung und ein transparenter Informationsfluss durch die gesamte Prozesskette der Metallumformung möglich.
(Bild: AP&T)

Die Umformsimulation ist bereits seit Jahrzehnten in der Prozessauslegung etabliert und wird umfangreich genutzt, um das umformtechnische Risiko zu minimieren, bevor ein Prozess in Serie geht beziehungsweise bevor aufwendige Produktionsmittel wie Werkzeuge physisch angefertigt werden. Neu dabei ist, dass einerseits durch eine immer genauere Beschreibung der Randbedingungen wie durch Materialmodelle oder die Berücksichtigung von Maschinenverhalten die Treffsicherheit bei der Vorhersage erhöht wird. Anderseits werden durch immer komplexeres Werkstoffverhalten, wie bei hochfesten Werkstoffen für die Kalt- oder Warmumformung, und durch anspruchsvolle Geometrien auch die Gutteilfenster eingeschränkt. „Durch die Integration zusätzlicher Sensorik und die Auswertung vorhandener Sensorsignale kann eine Vielzahl von Informationen über den Umformprozess gewonnen werden. Das können einerseits Informationen über den Zustand der Anlagen sein, die dann für eine vorausschauende Wartung genutzt werden, und anderseits technologische Informationen, die Umformparameter beschreiben. Die Herausforderung dabei ist, für den jeweiligen Nutzerkreis die richtigen Informationen herauszufiltern und bereitzustellen“, sagt Frank Schieck, Hauptabteilungsleiter Blechumformung am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz. Dabei kommen zunehmend Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) zum Einsatz. Mit Blick auf die genannte Umformsimulation werden so auch Informationen wieder zurückgespiegelt, die wiederum helfen, die Ergebnisse der Umformsimulation für kommende Projekte noch genauer an die Realität anzugleichen, ohne dabei die Anforderungen an Rechenzeit und Hardware extrem zu erhöhen. „Damit können Entwicklungszyklen verkürzt und der Aufwand für Try-out beziehungsweise Prozessoptimierung deutlich reduziert werden“, so Schieck.

Fest steht: Die Digitalisierung kann auf jeden Prozess angewandt werden und die Blechindustrie bildet da keine Ausnahme. „Digitale Werkzeuge und insbesondere digitale Systeme ermöglichen die Anpassung an die sich ständig verändernde und mitunter schnelllebige Umgebung eines Produktionsprozesses, indem sie Agilität und Beschleunigung bieten. Das heißt: Mit digitalisierten Systemen ist eine leichtere und schnellere Anpassung in wechselnden Situationen möglich“, so Alberto Martinez, Head of CC Software Services bei der Bystronic Laser AG in Niederönz in der Schweiz. Christer Bäckdahl, Vice CTO des schwedischen Anlagenherstellers AP&T, ergänzt: „Es ist möglich, virtuelle Umgebungen und digitale Zwillinge für verschiedene Zwecke wie die virtuelle Inbetriebnahme und Ausbildung zu nutzen. Durch die Verbindung von Geräten und das Sammeln sowie Analysieren von Daten ist eine Produktionsoptimierung möglich. Ein transparenter Informationsfluss durch die gesamte Prozesskette der Metallumformung ist somit leichter zu realisieren.“

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Was mit Blick auf Digitalisierung beim Umformen möglich ist, verdeutlichen beispielsweise die Biegemaschinen von Trumpf. So kann etwa mit dem Programmiersystem Tec Zone Bend vorab automatisch überprüft werden, ob ein Biegeteil kollisionsfrei gebogen werden kann. Während des Biegeprozesses erfolgt an der Maschinensteuerung der Tru-Bend-Serien eine Visualisierung der Einlageposition und der Geometrie des Bauteils. Und mit der Option Part Indicator wird außerdem mittels einer Kamera auf die richtige Einlage des Blechteils hingewiesen.

Vorteile für den Anwender generieren

„Der Anwender muss sich keine Gedanken über die richtige Biegefolge oder die Einlageposition des Blechteils machen. Fehlbiegungen und Ausschuss werden deutlich reduziert“, erklärt Harald Böck, Leiter Produktmanagement und Global Sales Support Bend bei der Trumpf Maschinen Austria GmbH & Co. KG. Christer Bäckdahl unterstreicht das: „Kunden können durch die Digitalisierung eine optimierte und vorausschauende Produktion im Hinblick auf eine hohe OEE (Overall Equipment Effectiveness) und Qualität sicherstellen, was zur Gewinnsteigerung führt.“ Kundenvorteile sind aus Sicht des Fraunhofer-IWU auch eine Verkürzung der Entwicklungszyklen, insbesondere für das Tryout im Werkzeugbau und eine schnellere Reaktion auf Produktionsschwankungen verbunden mit einer Null-Fehler-Produktion. Dazu kommt eine effizientere Nutzung der Anlagentechnik durch vorausschauende Wartung, eine definierte Anpassung von Anlagenparametern und damit die Erhöhung der Energieeffizienz. „Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist ein geringerer Aufwand beim Qualitätsnachweis gegenüber dem Endkunden“, so Frank Schieck. Alberto Martinez sieht auch Vorteile für den Mitarbeiter selbst: „Kürzere Reaktionszeiten und angereicherte Informationen führen zu kompetenteren und produktiveren Mitarbeitenden. Die Entscheidungen, die getroffen werden können, sind genauer und können besser an ein sich veränderndes Umfeld angepasst werden.“

Um diese Vorteile generieren zu können, haben die Anwender klare Vorstellungen von der Anlagentechnik. „Anwender erwarten konkrete Lösungen, die mittels Digitalisierung ablaufbedingte Produktionsstillstände minimieren und damit Effizienz schaffen“, sagt Böck. „Wichtig ist zudem die Nutzung eines digitalen Werkzeugkastens, um im Ergebnis Hochleistungs-Produktionslinien mit hoher Verfügbarkeit, niedrigen Zykluszeiten, minimierter Ausschussrate und niedrigem Energieverbrauch zu erreichen“, ergänzt Bäckdahl.

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Auch Bystronic fokussiert bei der Anlagenauslegung klar auf den Kunden. „Als Kunde würde ich erwarten, dass ich vom Hersteller in Bezug auf meine interne Digitalisierung und bei der Verbesserung meiner Prozesse und der Wertschöpfung für meine Endkunden eine Orientierungshilfe erhalte“, so Martinez. Abhängig von der Arbeitsweise, der Ausgereiftheit und Definition der Prozesse, vom Fertigungsansatz oder dem digitalen Bewusstsein der Mitarbeitenden müssten die Anwender darauf achten, dass der Gerätehersteller das dazu passende Angebot erstellt. „Wir müssen unsere Denkweise anpassen und mehr an Anwendungsnutzer als an Software-Anwender denken“, ergänzt er.

Und Schieck zählt zusammenfassend die punktuellen Erwartungen des Anwenders auf: „Dies sind die Offenlegung von Maschinendaten für Auswertungsalgorithmen, die Integration der erforderlichen Sensorik, die Bereitstellung und Aufbereitung der erforderlichen Daten und Informationen für den jeweiligen Nutzerkreis, die Gewährleistung der Datensicherheit, Schulung und Training des Personals sowie die Gewährleistung übergreifender, allgemeingültiger Standards und Datenprotokolle.“

Der Einstieg in die Digitalisierung

Dass Digitalisierung nicht um der Digitalisierung willen erfolgen soll, ist klar. Dazu ist aus Sicht des Fraunhofer-IWU eine enge Zusammenarbeit von Spezialisten aus den Bereichen Umformtechnologie, Anlagenentwicklung, Anlagenbetrieb und Softwareentwicklung nötig. Für den Anlagenhersteller Trumpf ist es zudem wichtig, dass die Digitalisierung von Prozessen und die Einführung von digitalen Kundenlösungen immer an der realen Situation beim Kunden ansetzt. Es müssten also
Verbesserungen wie Zeitreduktion, Kosteneinsparungen oder Erleichterungen im Vordergrund stehen. Die schwedische AP&T sieht außerdem das Managementbewusstsein für die Thematik, klare Ziele und eine schrittweise Planung sowie Allianzen mit Kunden und Lieferanten, die in diesem Bereich Vorreiter sind, als wichtige Eckpfeiler für das Gelingen der Digitalisierung. Neben all diesen Faktoren sieht Bystronic auch die Wahl des richtigen Partners als entscheidenden Faktor. Dieser sollte in der Lage sein, den Benutzern in jeder Phase der digitalen Entwicklung geeignete Werkzeuge bereitzustellen.

Und wie sieht es mit der Nachrüstung von 4.0-Lösungen an bestehenden Anlagen aus? Hier sind sich die drei Hersteller und die Wissenschaftler aus Chemnitz einig, dass dies zwar größtenteils funktioniert, jedoch oft nur wenig effizient ist. „Die Frage ist immer: Welcher Aufwand muss für welchen Nutzen betrieben werden? Aktuell ist bereits eine Vielzahl von Maschinendaten verfügbar, die Herausforderung liegt darin, diese sinnvoll aufzubereiten. Zusätzliche Sensorik kann nachgerüstet, Steuerungskomponenten oder Rechentechnik können ergänzt werden. Das ist dann aber auch immer mit Investitionen verbunden“, sagt Schieck vom IWU.

Künstliche Intelligenz einsetzen

Mit Digitalisierung ist bereits heute viel möglich. AP&T setzt im ersten Schritt auf virtuelle Fabriken und den digitalen Zwilling für Bildungs- und Prozessoptimierungszwecke, auf Prozessüberwachung und -kontrolle zur Optimierung der Prozess- und Produktqualität, auf Datenerfassungs- und Analysemodule sowie auf digitale Werkzeuge für Supportzwecke. Mit Blick auf Künstliche Intelligenz sagt Dr. Christian Koroschetz, CTO von AP&T: „Dieser Technologiebereich wird auch in unseren zukünftigen Produktionssystemen eine wichtige Rolle spielen, um so die Produktqualität zu erhöhen und die Zykluszeit zu verkürzen. Die Marktnachfrage nach selbstoptimierenden Produktionsanlagen ist jedoch noch auf einem moderaten Niveau.“

Der Ditzinger Anlagenbauer Trumpf bietet Vernetzungslösungen für den Kunden, aber auch in der eigenen Produktion. Neben den eingangs genannten Lösungen für das Biegen bietet Trumpf darüber hinaus eine Maschinen-App, die etwa den Livestatus einer Maschine an mobilen Endgeräten anzeigt und mit der die Kunden ihre Effizienz steigern können. Vor Kurzem wurde außerdem der „Sorting Guide“ vorgestellt, der mithilfe von KI Bediener beim Absortieren von Blechteilen an der Laserschneidmaschine unterstützt.

Auch Bystronic bietet skalierbare Lösungen, die Maschinen, Automation und Software integrieren, um kundenspezifische Material- und Datenflüsse zu realisieren. „Mit unserem modularen Portfolio sind wir bereits heute in der Lage, alle Projekte von der einzelnen Maschinen- und Softwareanwendung bis hin zur vollautomatischen und integrierten Smart Factory zu realisieren“, so Martinez. Auch im Bereich KI hat das Schweizer Unternehmen mehrere Anwendungen im Portfolio, hauptsächlich im Bereich der Schneidtechnologie. Unter dem Begriff „adaptive Planung“ werden die auszuführenden Arbeiten dabei intelligent geplant und automatisch neu konfiguriert, wenn dies aufgrund einer externen Ursache wie Maschinenausfall, unerwarteter Fehler oder eingehender Eilaufträge notwendig wird.

Am Fraunhofer-IWU wurden ebenfalls bereits verschiedene Lösungen entwickelt: im Themenkomplex „Maschine und Umformen 4.0“ zum Beispiel die Darstellung der Prinzipien von Industrie 4.0 im Presswerk – sowohl anlagen- als auch technologieseitig – auf Basis von Experimentaldaten. Auf diese Basis gehören dazu auch die intelligente Prozessführung beim Presshärten, die Entwicklung intelligenter Maschinen- und Anlagenkomponenten sowie ergänzendes Messequipment. Auf numerischer Datenbasis wurde eine gekoppelte Prozessanalyse einer kompletten Karosserie-Prozesskette entwickelt. Hinzu kamen Potenzialanalysen von Einzelteilmaßhaltigkeit und Stellmaßnahmen bei Blechteilen sowie zur Auslegung von Clinchprozessen. Und auf der Basis von Experimenten und quantitativen Datenauswertungen entwickelten die Wissenschaftler eine gekoppelte Prozessanalyse zur Nutzung bei der Inlinemesstechnik, die bei einem OEM zur aktiven Serienanlauf-Unterstützung eingesetzt wurde. Künstliche Intelligenz kommt am IWU in verschiedenen Bereichen zum Einsatz: bei der virtuellen Prozessauslegung für Umformprozesse in der Blechumformung sowie bei der Füge- und Montagetechnik, aber auch bereits in der Optimierung von realen Produktionsabläufen. Dass KI in den kommenden Jahren auch in der Umformtechnik an Bedeutung gewinnen wird, bestätigen die Fraunhofer-Wissenschaftler genauso wie die Anlagenhersteller. An weiteren Entwicklungen wird jedenfalls gearbeitet.

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