In nur gut zwei Stunden verliert Stan Wawrinka gegen Rafael Nadal 2:6, 3:6, 1:6. Für den 31-jährigen Mallorquiner ist das der zehnte Titel in Paris.
Schon zu Beginn des zweiten Satzes, Stan Wawrinka hatte eben seinen Service zum 0:1 abgegeben, ging der Blick seines Coachs Magnus Norman zum Himmel. Keine Ahnung, was er da gesucht hatte. Regen? Intuition? Göttliche Hilfe? Jedenfalls war schon zu diesem Zeitpunkt klar, dass es für ein gutes Ende des vierten Grand-Slam-Finals des Romand eines Wunders bedurft hätte. Mit der Präzision und Unerbittlichkeit einer Ballmaschine prügelte Rafael Nadal die Bälle über das Netz und in die Spielfeldecken.
«Ich habe zu viel gezögert, war immer ein wenig hin- und hergerissen.»
Und Wawrinka, der sich eigentlich vorgenommen hatte, aggressiv zu bleiben und die Bälle des Spaniers früh zu attackieren, wich immer weiter zurück. Später sollte er sagen: «Ich habe zu viel gezögert, war immer ein wenig hin- und hergerissen. Einerseits, weil allein schon die Tatsache, gegen ihn zu spielen, einen zweifeln lässt. Aber auch, weil die vergangenen drei Wochen, in denen ich mein bestes Tennis wiedergefunden habe, Kraft gekostet haben.»
Am Ende blieb eine Lektion, ja eine Demonstration Nadals. In 125 Minuten schlug er Wawrinka in drei Sätzen, und hätte das vierte Spiel über 18 Punkte nicht allein fast eine Viertelstunde gedauert, der Final wäre noch schneller zu Ende gewesen. In diesem vierten Spiel hatte sich Wawrinka noch vehement aufgelehnt, hatte vier Breakbälle abgewehrt und seinen Service gehalten. Doch das Unvermeidbare hatte sich schon da abgezeichnet: Nadal war an diesem Sonntag nicht zu schlagen.
Wawrinka mochte sich danach nicht mehr lange mit dem Match aufhalten. «Ich könnte lange analysieren, was ich besser hätte machen sollen. Aber das bringt nichts. Er war einfach besser.» Die Einsicht reifte bereits nach den ersten paar Games und verdichtete sich im Kopf des Romand, bis der Frust so gross wurde, dass er vor dem Satzball zum zweiten Set sein Racket zerschmetterte.
Simply to good. Congrats to Rafa and his team. Amazing 10 Roland Garros👑🎾👍🏼
— Magnus Norman (@normansweden) 11. Juni 2017
Wawrinka kannte den Grand-Slam-Final bisher nur aus der Perspektive des Siegers. Dreimal hatte er einen bestritten, dreimal hatte er gewonnen: 2014 in Melbourne gegen Nadal, 2015 und 2016 in Paris und New York gegen Novak Djokovic. Damals hatte er seine Gegner mit Angriffstennis überrascht. Diesmal war er es, der überrascht wurde. Obwohl: Eigentlich war es nicht einmal eine Überraschung. Man weiss, wie gut Nadal auf Sand spielt. Hier hat er seine Karriere 2005 mit dem ersten Major-Titel lanciert. Hier hat er bisher nur je einen Match gegen Robin Söderling (2009) und Djokovic (2015) verloren. In diesem Jahr gab er auf dem Weg in den Final lediglich 29 Games ab, und gegen Wawrinka kamen nur sechs weitere hinzu. Selbst einer wie Roger Federer hat in Paris gegen Nadal schon sein Waterloo erlitten. 2008 hatte er im Final noch zwei Games weniger gewonnen und sich 17 Minuten weniger lange auf dem Platz halten können (1:6, 3:6, 0:6).
Doch das war für Wawrinka in diesem Moment kein Trost. Er hatte sich den Final anders vorgestellt. Als er auf dem Platz zur Dankesrede des zweiten Siegers ansetzte, entschuldigte er sich zuerst bei seinem Team. Doch allzu viele Vorwürfe muss er sich nicht machen. Im Jahr nach der jüngsten Verletzungspause ist Nadal fit und aggressiv wie selten zuvor. Er nimmt die Bälle früh und setzt seine Gegner damit unter Dauerdruck. Es war gewiss auch der Frustration des Moments geschuldet, als Wawrinka sagte, er habe gegen den besten Nadal aller Zeiten verloren. Doch sehr gut war der Mallorquiner bestimmt.
Es gab Momente, da wäre Wawrinka wohl am liebsten im Pariser Sand versunken. Der Zeigefinger, der zur Stirne geht, jene Geste, die zum Symbol des neuen, starken Stan geworden ist, blieb diesmal unten. Stattdessen schlug er sich einmal mit dem Racket gegen den Kopf. Als wollte er sich zurufen: «Wach auf, es ist Grand-Slam-Final!»
Wawrinka wird ein paar Tage brauchen, um die Niederlage zu verdauen. Das 2:6, 3:6, 1:6 ist ein Makel in seiner Grand-Slam-Bilanz, die seit über drei Jahren so gut ist. Doch ist der Schock des Resultats einmal überwunden, wird sein Einfluss bescheiden sein. Immerhin stand er im Final. Im Ranking hat ihn Nadal zwar überholt, weil aber Djokovic zurückfällt, bleibt er auf der dritten Position. Schon kurz nach dem Match sagte Wawrinka: «Bis vor drei Wochen habe ich an vielem gezweifelt. Nun habe ich das Turnier in Genf gewonnen und war hier im Final.»
Viel Zeit, um zu grübeln, bleibt Wawrinka nicht. Bereits in einer Woche beginnt für ihn mit dem Rasenturnier im Londoner Queen's Club die Vorbereitung auf Wimbledon. Für die Rasensaison wird sich Paul Annacone seinem Betreuerstab anschliessen, der Pete Sampras zwischen 1995 und 2000 zu fünf seiner sieben Wimbledon-Titel führte und später auch drei Jahre für Federer arbeitete. «Er soll», sagt Wawrinka, «einen anderen Blick, eine weitere Meinung in das Team bringen.» Wimbledon ist das einzige Major, das Wawrinka noch nie gewonnen hat. Im vergangenen Sommer hat er in der zweiten Runde gegen Juan Martin Del Potro verloren. Das soll sich in diesem Jahr ändern.