Joe Kaeser "Es bringt nichts, das Silicon Valley zu kopieren"

Siemens-Chef Joe Kaeser sieht zig Jobs durch die Digitalisierung gefährdet. Er investiert deswegen Hunderte Millionen in digitale Weiterbildung seiner Leute und warnt die deutsche Industrie davor, das Silicon Valley nachzuahmen.

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Joe Kaeser, 59, ist Vorstandsvorsitzender von Siemens. Der gebürtige Niederbayer leitet den Dax-Konzern seit August 2013. Zuvor gehörte der Betriebswirt dem Leitungsgremium des Konzerns als Finanzvorstand an. Quelle: Ken Richardson für WirtschaftsWoche

Es ist keine Vorschau des neuen „Transformers“-Films, die an diesem Tag auf der Bühne im Kongresszentrum Boston gegeben wird. Keine Science-Fiction, sondern Wirklichkeit. Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser hat für ein Gespräch über die vierte industrielle Revolution im Rahmen der German-American-Conference an der Harvard-Universität zwei Gäste mitgebracht: Die beiden Roboter mit ihren vielen gelenkigen Beinen sehen aus wie überdimensionierte Spinnen, eine rot, eine blau. Sie sind Pfadfinder der Industrieautomation und können mehr, als manch ein Mensch sich wünschen mag.

WirtschaftsWoche: Herr Kaeser, was machen die beiden hier?
Joe Kaeser: Das sind Freunde von mir. Ein weiblicher und ein männlicher.

Und natürlich ist der weibliche wieder rot … Das ist doch klischeehaft.
Ich würde eher sagen: Einer von beiden arbeitet und einer beobachtet.

Zur Person

Okay, und der, der nur beobachtet, ist der männliche, oder?
Wenn Sie das sagen! Aber viel wichtiger ist: Die beiden sind autonome Roboter – wir nennen sie „Spiderbots“, also „Spinnenroboter“, weil sie sich wie Spinnen bewegen. Sie sind mit künstlicher Intelligenz ausgestattet, und sie können 3-D drucken, im Team mit anderen Robotern. Siemens-Forscher in Princeton haben sie als Prototyp entwickelt. Eines Tages könnten Bots wie diese hier die Strukturen und Oberflächen großer, komplexer Gebilde wie Flugzeugrümpfe oder Schiffskörper gestalten. Insgesamt ist das eine sehr spannende Vision für die Zukunft der Fertigung: Maschinen, die gemeinsam arbeitend neue Maschinen formen.

Vor unserem Interview hier hat mir einer der Roboter gesagt, es sei schön, hier in Boston zu sein. Warum kann der überhaupt sprechen?
Weil wir immer noch eine Schnittstelle zum Menschen brauchen. Untereinander kommunizieren die Roboter digital, also in Nullen und Einsen. Aber der Mensch steht am Ende im Zentrum. Die Bots müssen mit ihm kommunizieren können.

Sie haben mal gesagt, Industrie 4.0 ist die Schicksalsfrage der deutschen Industrie. Wie zuversichtlich sind Sie, dass sie positiv beantwortet wird?
Das Gute ist, dass die Wertschöpfungsketten effizienter werden. Das Schlechte für einige ist: Sie wird stark verkürzt, Teile der Kette, die keinen Mehrwert bringen, fallen unweigerlich heraus. Viele Arbeitsplätze wird es bald nicht mehr in der Form geben, wie wir sie heute kennen. Aber es werden auch neue Tätigkeiten und eine Vielzahl neuartiger Arbeitsplätze entstehen. Die Herausforderung wird sein, Menschen die Kompetenzen zu vermitteln, die für diese neuen Arbeitsplätze notwendig sind.

Quelle: Ken Richardson für WirtschaftsWoche

John Maynard Keynes hat schon in den Dreißigerjahren von technischer Arbeitslosigkeit gesprochen. Was ist neu an der jetzigen Situation?
Natürlich war die Menschheit schon viele Male in so einer Situation. Aber heute gibt es einen gewaltigen Unterschied zu vorherigen industriellen Revolutionen: Als die Dampfmaschine oder die Elektrizität erfunden wurde, gab es keine Möglichkeiten, in Echtzeit zu kommunizieren. Heute aber gibt es eine global vernetzte Gemeinschaft, die bestens über den Wandel informiert ist und bei dessen Gestaltung aktiv mitreden möchte. Wir müssen schauen, wie wir als Gesellschaft möglichst viele bei diesem Wandel mitnehmen. Es ist eben nicht jeder ein Softwareentwickler oder ein Harvard-Absolvent.

Auch das war bei bisherigen Wandlungsprozessen so.
Ein Punkt beschäftigt mich in der Tat: Wenn wir es nicht hinbekommen sollten, dass das digitale Zeitalter inklusiv ist, dann wird die vierte industrielle Revolution stecken bleiben. Weil die Gesellschaft dann nicht mitmacht. Sie sehen das ja heute schon in manchen Industrieländern, wo sich viele Menschen zurücksehnen nach einer Zeit, in der die Kohle- und die Stahlindustrie florierten, einfach weil sie damals sichere und auch gesellschaftlich anerkannte Jobs hatten. Dabei ist das ja eine unerfüllbare Sehnsucht, denn wir können die Vergangenheit nicht zurückholen. Wir müssen den Menschen heute die Möglichkeit geben, sich weiterzuqualifizieren – nur so werden wir sie in die Lage versetzen, an dieser neuen Welt erfolgreich teilzuhaben.

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