Air Berlins Generalbevollmächtigter Frank Kebekus dämpft die Erwartungen an einen Verkauf der insolventen Fluglinie innerhalb kürzester Zeit. „Vor September wird es höchstwahrscheinlich keine großen Deals geben“, sagte Kebekus im Interview mit der WirtschaftsWoche. „Das ist kein Autoverkauf, den man an einem Tag abwickelt“, so Kebekus.
Der Sanierungsexperte verhandelt derzeit mit verschiedenen Interessenten über Streckennetze und Start- und Landerechte, sowie über Tochterunternehmen wie den Ferienflieger Niki und die ausgelagerte Air Berlin Technik. „Wir verhandeln zügig und die Richtung stimmt, aber man darf die Komplexität solcher Transaktionen nicht unterschätzen“, so Kebekus. „Es ist nicht so, dass wir nur den Stift zücken müssten, um die Verträge zu unterschreiben.“
Den Verlauf der Gespräche bezeichnete Kebekus als „konstruktiv“, aber „alle Beteiligten wissen, dass es noch genug zu tun gibt“. Kebekus: „Wenn Sie so wollen, haben wir bei den Verhandlungen gerade erst die Startphase abgeschlossen und Flughöhe erreicht. Vor der Landung gilt es sicherlich noch, einige Turbulenzen zu umfliegen.“ Der Zeitdruck für eine Lösung steigt, denn „Air Berlin verbrennt Cash“, so Kebekus. „Zudem ist ein Insolvenzverfahren nicht gerade die beste Werbung für eine Fluggesellschaft“.
So seien die Buchungen rückläufig. „Bei den kurzfristigen Buchungen liegen wir derzeit nur rund sechs bis sieben Prozent unter Vorjahr. Bei Buchungen für Flüge, die in ein paar Monaten stattfinden, sind die Kunden zurückhaltender. Das betrifft vor allem die Langstrecke“, sagte Kebekus. „Es besteht die Gefahr, dass uns das Geschäft wegbricht, falls der Verkauf zu lange dauert.“
Vorwürfe, das schnelle Verfahren diene dazu, Fakten zu schaffen und Lufthansa als Käufer durchzusetzen, wies der Sanierungsexperte zurück. „Wir haben einen offenen Verkaufsprozess“, sagte Kebekus der WirtschaftsWoche. „Jeder seriöse Kandidat, der nachhaltiges Interesse an Air Berlin zeigt, erhält Zugang zum Datenraum und kann ein Angebot abgeben.“ Das einzige Problem sei der Zeitdruck. „Ein Player wie die Lufthansa, die schon vor dem Insolvenzantrag am Tisch saß, hat damit automatisch einen Informationsvorsprung. Daran können wir aber nichts ändern, und das hat auch nichts mit einem abgekarteten Spiel zu tun.“
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
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